Tifferts Gedichte haben etwas Ungelenkes, mitunter etwas brachial in Form Gezwungenes. Aber dies gehörte stets zu den Reizkräften der Sammlung »Poesiealbum«: Das immense Licht der Dichter-Meisterlichkeiten leuchtete in dieser Reihe vielfach, aber es strahlte nie bloß für sich selbst. Es erhellte ganz selbstverständlich alle Landschaften des Lyrischen, die bekannten Wege wie die Nischen, die Hauptstraßen der poetischen Kontinente wie die scheu und neu angelegten Wege zum jeweils eigenständigen Werk. Vorbild und Nachwuchs, Größe und Versuch bildeten stets ein Feld bewegender Spannungen. Der Stattlichkeit war regelmäßig eine frei sich übende Werkstattlichkeit beigesellt, also: Der bedeutende Name und der weniger bekannte Autor traten im Wechsel auf. Tiffert bedeutet Belebung dieser Tradition. Hans-Dieter Schütt, ND 6.5.13 Udo Tiffert braucht Neusorge. Das merkt man schon an den ersten Gedichten des Heftchens Nummer 304 der ehrwürdigen Reihe Poesiealbum, die unterdessen vom Märkischen Verlag Wilhelmshorst verlegt wird. Es sind naturbeobachtende Miniaturen in Gedichtform, so knapp, dass man eines komplett zitieren kann … Tiffert, im Hauptberuf Erzähler, verzichtet einerseits weitgehend auf Reime, andererseits auf die modische Beliebigkeit des Zeilenumbruchs. Auch wenn er manchmal, nicht durchweg, Verfahren wie die Kleinschreibung von Substantiven benutzt, ist die Sprache sehr sachlich. Wortspiele und Neologismen finden sich nicht. Das Poetische entsteht aus den Zusammenhängen und der Verdichtung, die Dichtung eben ausmacht. Und so sind seine Gedichte keine Storys plus Enjabement und auch keine gebrochenen Aphorismen … Jens Kassner, Poetenladen 12.1.2013 Dem Dichter Gottfried Benn ist das 300. »Poesiealbum« gewidmet - Jubiläum also der einmaligen deutschen, inzwischen 45 Jahre alten Reihe, die Editions- und damit Literaturgeschichte schreibt; einst begründet im FDJ-Verlag Neues Leben (erster Herausgeber: der Dichter Bernd Jentzsch), seit einiger Zeit liebevoll weitergeführt vom Märkischen Verlag Wilhelmshorst, herausgegeben dort vom Dichter Richard Pietraß. … Benns Lyrik kommt jenen Jahren entgegen, die man die wolkenverhangenen nennen darf. Da man ein Gefühl entwickeln sollte für den wahren Stand der Dinge. Diese Gedichte nehmen wahr, wie die Dämmerung an Umrissen herummodelliert, um sie aufzulösen wie eine letzte Wohnung. … Das Album erhält auch eines der schönsten Gedichte Benns: »Menschen getroffen«. Eine ehrfürchtige Elegie auf den unbekannten Menschen des mühvollen, ruhmlosen, im edelsten Sinne: einfachen Daseins. Ergreifend, wie Benn, der Kalte, der Sezierende, der am Vergängnis Berauschte, wie er sich im Vers in Anteilnahme am geheimnisvollsten hineinschwingt. Aufwühlend schlicht. Hat man das gelesen, ist man bereit, jeden Obdachlosen am Straßenrand für einen Götterboten zu nehmen, der auf weiten Wegen ins Lohnende nur mal verschnauft. Hans-Dieter Schütt, ND 28.7.2012 Von 1977 bis 1979 und seit 2009 ist Richard Pietraß der Herausgeber der Lyrikreihe „Poesiealbum“, die in der DDR von Bernd Jentzsch begründet wurde. Der Förderverein „Dichterstätte Sarah Kirsch“ besitzt fast alle Ausgaben dieses einzigartigen Lyrik-Heftes, auch dank einer Schenkung des Slawisten Fritz Mierau. Darunter befindet sich das Poesiealbum 82 von 1974, mit dem Pietraß als Autor öffentlich wurde. … Richard Pietraß, einer der Übersetzer Tomas Tranströmers, benennt sein Dichten als „wurzeltiefe, bildkühne wie rätselreiche, immer menschliche Poesie ...“ In der von Pietraß betreuten Lyrikreihe „Poesiealbum“ ist als Nr. 298 auch ein Tranströmer-Heft erschienen. Die Edition wird vom Märkischen Verlag Wilhelmshorst publiziert. Heidelore Kneffel, Neue Nordhäuser Zeitung, 18.6.12 Freunden des guten Gedichts schlug das Herz am Stand des Märkischen Verlages Wilhelmshorst höher, waren doch da die neuesten Hefte der Reihe "Poesiealbum" aufgereiht. Zu DDR-Zeiten noch in 40 000er Auflagen gedruckt, werden heute die jährlich sechs Ausgaben der legendären Reihe jeweils etwa 1000 Mal nachgefragt, berichtete Klaus-Peter Anders. "Wir sind nicht wegen des Verkaufs hier", sagte der Verleger. "Viele Leute wissen nicht, dass es das Poesiealbum wieder gibt." Auf Veranstaltungen von Basel bis Berlin und eben auch in Pößneck wirbt er für die Gedichthefte. "Für uns ist die Langzeitwirkung entscheidend", resümierte Anders. Marius Koity, Ost-Thüringer Zeitung 4.6.12 … Beginnend mit Georg Heym, Heft 282, ereignet sich ein merkwürdiges oder auch denkwürdiges Dejä vu. Geschichte, die sich normalerweise nicht wiederholt, wiederholt sich. Wie schon nach dem Bruch im Jahr 1976 übernimmt Richard Pietraß die Nachfolge von Jentzsch, stürzt sich in das Wagnis, zweimal in denselben Fluß zu steigen. Fortan erscheinen sechs Hefte im Jahr, vier davon verantwortet Pietraß, zwei in Kooperation. Hinzu kommt exklusiv für Abonnenten eine „Weihnachtsedition", gelegentlich auch „Abonnenten-Weihnachtsbonus" genannt, was die erweiterte Neuauflage eines bei Sammlern begehrten alten Heftes meint; bisher August von Platen, Reiner Kunze und Wulf Kirsten. Eine zwar gut gemeinte aber irreführende Aktion, denn verschenkt wird nichts. Daß Richard Pietraß sich auf die Fertigkeiten eines Herausgebers versteht, hat er neben dem Poesiealbum mehrfach unter Beweis gestellt. Seine klug gebauten Ausgaben mit Gedichten von Uwe Greßmann, Albin Zollinger, Inge Müller, Hans Arp oder H.C Artmann sind im Regal des Lyrik-Lesers unverzichtbar. Deshalb überrascht es nicht, wenn seine Vorlieben, aus denen er nie einen Hehl gemacht hat, bei der Fortführung der populären Lyrikreihe erkennbar bleiben. Er bringt die von ihm verehrten Heroen und Nobelpreisträger Boris Pasternak und Seamus Heaney, die er beide auch nachgedichtet hat. Er erweist den in den letzten Jahren verstorbenen Wolfgang Hilbig, Inger Christensen und Peter Rühmkorf die Ehre. Er nimmt seinen langjährigen sächsischen Freund Thomas Rosenlöcher in die Reihe, der leider mit keinem einzigen, bislang unveröffentlichten Gedicht aufwartet. Und er zeigt mit Jan Wagner, daß er auch einen guten Draht zu den deutlich Jüngeren hat. Viel Einfühlungsvermögen offenbart Pietraß bei der Wahl der Grafik. Die Poesie-Galerie bereichern u.a. Kirchner, Lepke, Weidensdorfer, Glöckner, Korab, Janssen und Gontscharowa. Wie es in der Reihenanthologie weiter geht, welche Dichter demnächst dem Gedichtblätterbaum ihren Wachstumsring hinzufügen, kann nur spekuliert werden … Michael Wüstefeld, Signum 1/2012 Lehmann erscheint in seinen Versen als freundlichster, aber auch störrischster Fremder im Reißen der härteren Welten um den jeweilig geltenden Fortschritt. Er ist ein vertrackt Abwesender wie Robert Walser; und es ist ein schöner, furchtlos federleichter Wurf auf den brausenden Markt, den der Märkische Verlag hier wagt, mit dem »Poesiealbum 297«, herausgegeben von Richard Pietraß, Auswahl: Axel Vieregg. Peter Handke wird im Heft zitiert, er schreibt, Lehmanns Lyrik mache »maulwurfsblind«. Treffliches Wort für das Dunkelleuchten in diesen Versen; das Innerste der Welt erscheint als Rätsel, und das Lesen wird zur großen Bitte an dieses Rätsel, bloß nicht seine Lösung zu gestehen. Hans-Dieter Schütt, nd 11.1.2012 Jan Wagners Gedichte behandeln, wie sollte es in seiner Generation anders sein, die Geschichte als etwas beständig Unstetes. Er ist ein kühl durchwehter Romantiker seelischer Wildnisforschung; was er bekräftigt, ist die erschütternd beschränkte Geltung aller Dinge, alles Denkens. Entzauberung als tägliches Evangelium. Aber der ernste traurige Gedanke blüht auf im heiter gesetzten Sprachbild, als sei er just da nach Hause gekommen. Quedlinburger Glocken klingen ihm wie Samt, »um nicht das porzellan der luft zu zerschlagen«. Aber doch Zähmungszeit allenthalben: Schlugen den Poeten früher im Frühling die Bäume aus, so sind es heute Rasenmäher hinter den Kleinstadthecken, die den Mai verkünden, und »im garten jener brunnen voller durst«. Er bedichtet Tiere, Irland und Japan, den Hiddenseer Dezember, den Schlamm des Ersten Weltkrieges, und die Qualle ist dem Poeten eine »lupe, die den atlantik vergrößert«.Diese Lyrik ist das schöne Selbstanschauungstheater eines Dichters, dessen Skepsis nicht überzeugen, sondern überraschen will. Gedichte, denen dies, »fuß um fuß dem epitaph entgegen«, belebend gelingt.----- Hans-Dieter Schütt, ND 16.09.2011 Beim Stichwort Poesiealbum ist Google noch westdeutsch-rückständig und listet seitenweise die so genannten 19.-Jahrhundert-Alben, die es auch im 21. noch gibt. (In meiner Kindheit nannte man sie Pohsie, leider hatten sie nur Mädchen). Seit 1967 aber hat das Wort durch Bernd Jentzsch eine neue Bedeutung angenommen. Das ist nun mehr als 40 Jahre her, man sollte es mal registrieren. (Wikipedia ist da aktueller. Das kommt, weil da noch Menschen arbeiten!) Michael Gratz, Lyrikzeitung 5.3.11 Derzeitiges Hätschelkind von Anders aber ist und bleibt das „Poesiealbum“, welches man einst für 90 Ost-Pfennige an jedem Kiosk bekam. „Gute Lyrik zum geringen Preis – eine echte Kulturtat“, so schätzt er das heute noch ein. Mit dem Altherausgeber „Neues Leben“ einigte man sich einvernehmlich, die Reihe in gleichem Layout, aber leicht erweitert, fortzuführen. Das letzte DDR-Heft landete auf der Müllkippe. Anders „übernahm“ ab Nummer 275, jetzt ist er bei 292. Im kommenden Jahr wird Nummer 300 angepeilt. Bundesweit vertreiben 30 Buchhandlungen das edle Stück Lyrik zum Preis von nur vier Euro. Sechs Hefte erscheinen pro Jahr, Abonnenten bekommen zum Jahresende ein Bonusheft extra. In Potsdam gibt es davon sieben Getreue, in Wilhelmshorst bereits einen, ganz schön viel. Natürlich will der Verleger dergestalt nicht nur eine Lanze für die Lyrik brechen, die ja heute kaum noch öffentlich wahrgenommen wird, er versucht auch, Literatur und Umland enger aneinanderzubinden. Eine Ausgabe von Fontane trägt dazu genauso bei wie die unbekannte Lyrik des Potsdamer Autors Hermann Kasak. Die aktuelle Nummer 292 ist Rose Ausländer gewidmet, der Lyrik-Fachmann weiß da sofort Bescheid. Gerold Paul, Potsdamer Neueste Nachrichten 27.12.10 Bei Meckel ist der Grundton einer, der auch das Verweilen in den Schattenfeldern der Betroffenheit kennt und unbarmherzig ausmisst. Ganz besonders trifft das für seine Gedichte zu, mit denen sich der neu beschäftigen kann, der das jüngste Heft (Nr.288) der Reihe „Poesiealbum" erwirbt. Das in der alten Aufmachung seiner Vorgängerhefte kongenial gestaltete, aber wesentlich besser gedruckte und mit der Abbildung einer Radierung Meckels von 1997 versehene Heft ist, welch aufmerksame Geste des Verlags und seines neuen Herausgebers Richard Pietraß (der nach dem Begründer der Reihe Bernd Jentzsch vom Verlag ins Boot geholt wurde), ein wunderschönes Geburtstagsgeschenk an den Jubilar Meckel. Pietraß, auf Rügen durch seine Lesungen wahrlich kein Unbekannter mehr, hat sorgsam ausgesucht, von der frühen „Tarnkappe" 1956 bis zum Band ausgewählter Gedichte „Ungefähr ohne Tod im Schatten der Bäume", bei Hanser in München 2003 erschienen. Walter G. Goes, Ostsee-Zeitung 15.6.10 Hat die Lyrik im Osten des vereinten Deutschlands etwa keine Heimstatt mehr? Oder sollte das alte Konzept, nach siebzehn Jahren Abstinenz nicht mehr verfangen? Dagegen spricht, dass ein kleiner brandenburgischer Verlag aus der Nähe von Potsdam, der Märkische Verlag Wilhelmshorst, die alte Lyrik-Reihe wieder hat aufleben lassen. Kein Nachdruck alter Ausgaben, nein eine getreuliche Fortsetzung gelangt hier vorzugsweise in die Hände von begeisterten Abonnenten, die sich erstaunlicher Weise heute eher im Westteil der Bundesrepublik finden. Vierteljährlich erhalten sie ein neues, 32-seitiges Heft und können sich darüber hinaus jeweils noch auf einen ganz besonderen, nur ihnen vorbehaltenen und im Buchhandel nicht erhältlichen Leckerbissen freuen. Jüngst war es eine erweiterte Neuauflage des Poesiealbums 275 mit Lyrik August von Platens. Dieses Heft hatte 1990 die alte Reihe beschlossen und gilt unter Kennern und Sammlern als "Goldstaub", denn es gelangte nicht mehr regulär in den Handel. Die Fortsetzung setzt mit den Heften: Peter Huchel (Nr. 277), Ernst Jandl (Nr. 278), Ezra Pound (Nr. 279), Uwe Grüning (Nr. 280), Ludvik Kundera (Nr. 281) und Georg Heym (Nr. 282) vor allem auf namhafte Autoren. Bereits angekündigt, inzwischen vom Lyriker Richard Pietraß betreut und herausgegeben, wird demnächst Poesiealbum 283 erscheinen, das Seamus Heaney gewidmet ist und dem dann mit Heft 284 Wolfgang Hilbig folgen wird. Der Spruch von der das Geschäft belebenden Konkurrenz allerdings trifft auf die nunmehr zwei Fortsetzungsreihen "Poesiealbum" und "Poesiealbum neu" trotz (zwangsläufig) ähnlichem äußeren Erscheinungsbild zumindest inhaltlich überhaupt nicht zu. Während in Wilhelmshorst auf klangvolle Namen gesetzt wird, zeigt sich Leipzig mit Auswahlheften im Stile der einstigen Sondernummern zum Schweriner Poetenseminar und Themenheften den weniger namhaften Autoren gegenüber offener - sofem sie Mitglied der herausgebenden Gesellschaft sind. Freuen können sich darüber letztlich die Freunde guter Lyrik und ihre Sammler. Gerade das vorliegende Bändchen belegt, daß auf wenigen Seiten ein eindrucksvoller Einblick in das Schaffen des Künstlers Ludvík Kundera gewährleistet wird. Neben seinen Gedichten werden auch grafische Arbeiten vorgestellt. Ludvík Kundera, Jahrgang 1920, lebt hochbetagt im mährischen Kunštát, einer kleinen Ortschaft nördlich von Brünn. Noch während der Kriegszeit war er der surrealistisch inspirierten Künstlergruppe "Ra" beigetreten. Kundera schrieb Gedichte, Essays, Dramen und trat auch als Herausgeber vor allem der Gedichte von František Halas auf. Bereits in den 1950er Jahren knüpfte er Kontakte mit Schriftstellern aus der DDR und übersetzte deren Gedichte ins Tschechische. Bücherverbrennung, Bücherverschimmlung, Bücherverkippung: Es seien drei große Frevel gewesen, welche die Deutschen im vergangenen Jahrhundert an ihrem Kulturgut begangen haben, sagt Verleger Klaus-Peter Anders. Die beiden letzteren sind besonders eng mit seinem Heimatort Wilhelmshorst verbunden: Verschimmeln mussten 1964 Dokumente und Bücher des hiesigen Dichters Peter Huchel, nachdem die örtliche Obrigkeit sein Archiv in einen Schuppen verlagert hatte. Verkippt wurde kurz nach der Wende unter anderem das letzte Heft der beliebten Reihe „Poesiealbum“, das jetzt vom Märkischen Verlag Wilhelmshorst neu aufgelegt worden ist. Und nicht nur das: Die ganze Reihe wird fortgesetzt, nach fast zwei Jahrzehnten und mit Autoren, die zu DDR-Zeiten keine Chance auf Veröffentlichung gehabt hätten: Peter Huchel, Ernst Jandl, Esra Pound. Die ersten Hefte sind bereits gedruckt und an Abonnenten verschickt worden. Es sind kleine Sammlungen, mit biographischen Abrissen und einer Laudatio von Kennern angereichert. Lauter Jubel sei ihm aus dem Telefonhörer entgegen geschallt, so Anders, als er sein Vorhaben gegenüber der Druckerei in Zeitz vorgestellt hat. Mitarbeiter der damaligen Kombinatsdruckerei arbeiten noch heute in dem Nachfolgebetrieb und können sich gut an „ihr“ Poesiealbum erinnern. In vielerlei Hinsicht gibt es Anknüpfungspunkte: Die ersten zwei neuen Hefte sind vom Ur-Herausgeber Bernd Jentsch zusammengestellt worden, die nächsten übernimmt Richard Pietraß, der ebenfalls schon zu DDR-Zeiten an der Reihe gearbeitet hat. Thomas Lähns, Potsdamer Neueste Nachrichten 26.1.09 2007 begann der Märkische Verlag Wilhelmshorst des rührigen Verlegers H.P. Anders die Reihe fortzusetzen. Er tat das mit Heft 277. Jentzsch wirkte bei den ersten beiden Heften der Fortsetzung noch einmal als Herausgeber mit. Er wählte drei Autoren, deren Veröffentlichung im Poesiealbum in der DDR an kulturpolitischen Widerständen gescheitert war: Peter Huchel (277) und Ernst Jandl (278). Folgerichtig ist die Wahl Huchels, nicht nur weil er zu den wichtigsten deutschsprachigen Lyrikern des 20. Jahrhunderts gezählt werden muß und bis zu seiner Ausreise in den Westen im Verlagsort Wilhelmshorst lebte. Es ist vor allem auch eine kleine Wiedergutmachung am Dichter Peter Huchel, der nach seiner Ablösung 1962 als Chefredakteur von Sinn und Form bis zum Ende der DDR hier quasi literarisch nicht mehr existent war. Vielleicht kann dieses Poesiealbum helfen, einen großen Dichter wieder ein wenig ins Bewußtsein der Literaturinteressierten zurückzubringen. Den Grund für das damalige Nichterscheinen des Ernst-Jandl-Heftes benennt Jentzsch kurz und knapp: "Der Weltautor scheiterte an der Kreisklasse des Geistes". Die Auswahl der Gedichte ist gut, aber wenig überraschend. Interessant aber durch die Zuordnung von poetologischen Statements Jandls. »Keine Zeit braucht den Dichter so sehr wie diejenige, die ihn entbehren zu können glaubt.« - So wirbt der Herausgeber, Klaus-Peter Anders, für die wiedererstandene Reihe des POESIEALBUMS. Ins Leben gerufen in der DDR, 1967, von Bernd Jentzsch, galt sie bis in die Zeit des politischen Umbruchs als Sammelobjekt von Lyrik mit Weltgeltung. Zur Konzeption gehörten auch Beispiele der bildenden Kunst, abgedruckt auf dem Umschlag und im Mittelteil jeden Heftes. Plötzlich, vor einem Jahr, erfuhr ich von der Initiative des Verlages in Wilhelmshorst, der der ursprünglichen Editionsidee folgt. Auch der legendäre Wechsel der Herausgeber ist bis dato wieder erfolgt: Nach Jentzsch versieht Pietraß die Herausgeberschaft. Vor dem Heft von Uwe Grüning finden sich Editionen mit Texten von Peter Huchel, Ernst Jandl und Ezra Pound. Inzwischen erschien auch das Ludvik Kundera gewidmete Heft. Mit den von Christian Bergmann zusammengestellten Grüning-Gedichten ist eine repräsentative Auswahl entstanden. Einige sind mit dem Entstehungsdatum versehen wie »Sommerabend - für Peter Huchel«, 1964, und »Gullivers Logbuch«, 1968. Letzteres, in jener Zeit entstanden, als Grüning noch im Wilhelmshorster Dichterhause verkehrte, weist bereits den typischen Klang auf, Melancholie und Reichtum an Sonorität. Das Poetische erscheint in der Verquickung verschiedener Aussageebenen. Der Einstieg - »Erinnerung an eine Gebirgsstadt« - kann als Bekenntnis gelten: »Ich wußte damals noch nicht, dass ein Weg nach Leiningen führt«. Denn damit greift der Autor zurück auf seine zu Anerkennung erkorene, aber unbemerkt gebliebene Metapher, die den Titel des Prosabandes bildet, der aufgrund der ungestümen Entwicklung 1989 von der Öffentlichkeit bis zum heutigen Tage kaum wahrgenommen wurde. Ein anderes Kapitel beweist die Affinität des Dichters zu mythischen Themen. »Die Magier II« - aus dem eindrucksvollen, für die DDR einzigartigen Gedichtband »Spiegelungen« (1981) - demonstrieren Ohnmacht, Nacht und »Urnenwälder, die schwarze/ Totenvögel durchziehn.« »Dädalus«, »Endende Irrfahrt«, »Mahnung«, »Penelope«, »Köre«, »Laß mich trauern um dich, Eurydike!« und andere stehen im Kontext zur griechischen Mythologie. Starke, Tod und Vergänglichkeit spiegelnde, oft erschütternde Bilder, Bilder als Widerspiegelung aber auch von Zeitgeschehen, Erfahrung, Resignation. Im Schlußteil überwiegt der Blick auf Landschafren des Abschieds - Bilder, durchdrungen von einem Empfinden über die Schönheit der Schöpfung, die Vergänglichkeit und den Ausbruch unsäglicher Taten. Der Wilhelmshorster Verleger Klaus-Peter Anders hat mit dem Begründer der Reihe Bernd Jentzsch nach einer ereignisreichen Zwischenzeit von 17 Jahren mit den Heften 277, Peter Huchel gewidmet, und 278, Ernst Jandl vorstellend, das "Poesiealbum" wieder zum Leben erweckt. Die alte Serie war für die DDR die Funktion eines geistigen "Türöffners", sagte mir der Verleger. Damit ist das Verdienst dieser Reihe wohl treffend umschrieben. Heute stehen viele mediale Türen offen, und es bleibt zu hoffen, daß auch ein Tor für Lyrik offen steht und für heutige Leser offen bleibt. "Lyrik und kein Ende..." erschien als Motto in den ersten Begleitzetteln der Weißen Reihe. Das wäre auch Klaus-Peter Anders zu wünschen. Eine Grafik ziert den Umschlag, so war es immer gewesen. „Poesiealbum 277" steht darüber - und „Peter Huchel". Das schmale Heft strahlt Verlässlichkeit aus. Man sieht ihm nicht an, dass allein seine Existenz bereits eine kleine Sensation ist. Das Wort ist wohl auch zu schrill, passt nicht zur Lyrik Huchels, zum Herausgeber Bernd Jentzsch, auch nicht zum Märkischen Verlag Wilhelmshorst. Man könnte das Heft ein Wunder nennen, so unverhofft erschien es.Im Oktober 1967 begründete Bernd Jentzsch die Reihe „Poesiealbum" im Verlag Neues Leben. … Ende der sechziger Jahre hörte Jentzsch das Gerücht, Kurt Hager, der in Sachen Kultur und Ideologie allzuständige ZK-Sekretär, „könne sich eine ‚klug getroffene Auswahl' aus den Gedichten Huchels in einem Verlag des Territoriums durchaus vorstellen". Jentzsch machte sich unverzüglich an die Arbeit. Fünf Exemplare des satzfertigen Manuskripts stellte Jentzsch her. Das ihm gewidmete „Poesiealbum" ist nie erschienen. Das Manuskript des Huchel-Poesiealbums hatte Jentzsch, wie andere Papiere auch, in die Wohnung seiner Mutter in Karl-Marx-Stadt gebracht. 1979 sind alle Papiere, die er dort in Sicherheit glaubte, in das Eigentum der Karl-Marx-Städter Müllabfuhr übergegangen. Daher musste er seine Auswahl aus dem Gedächtnis rekonstruieren. Sie beginnt mit „Ophelia", dem eindrücklichsten Gedicht über die Grenze zwischen Ost und West. Vier Hefte sollen im Jahr erscheinen. Dass es diese Reihe wieder gibt, dass ihr Erfinder sie wieder herausgibt, ist ein Geschenk für Leser. Nun ist es wieder da: leibhaftig und authentisch. Nachdem die Leipziger Lyrikgesellschaft im Frühjahr ein „Poesiealbum neu" (Edition kunst & dichtung, 4,80 Euro) als eine Reihe für thematische Anthologien ans Licht hob, folgt nun die von Bernd Jentzsch besorgte Auferstehung des Originals. Jentzsch, der im nordrhein-westfälischen Euskirchen lebt, ist bester Dinge. Seit 1990 habe er von der Wiederbelebung des Heftes geträumt, nun sei das langfristig möglich, sagt er der MZ. Was dafür spreche? Der Erfolg bis 1990: fünfeinhalb Millionen verkaufte Exemplare in 22 Ländern weltweit. Das Leipziger Unternehmen sei keine Konkurrenz, sagt der 67-Jährige. „Das muss nicht zueinander finden, sondern sich im besten Fall vertragen." Er habe noch so viel Weltdichtung auf dem Zettel, sagt Jentzsch, der wie einst für alles verantwortlich zeichnet: von der Auswahl der Dichter und Verse bis zu den bio-bibliografischen Angaben.
Weitere Rezensionen siehe bei den jeweiligen Heften unter Medien-Echo auf der Seite Poesiealbum.info
Sprache trug diesen Kleist fort. Hin zu etwas, das er mit seinem sonstigen Leben nicht verbinden konnte. Was er da in beschwörendem Sinne zu klirrendem Ausdruck wuchtete, es war so, als schlüge er draußen im All kälteste Planeten zu Eisstückchen, weil es den Gott seines undefinierbaren Sehnens nach Whiskey on the rocks verlangt. Was er also schrieb und sich von der Haut seines Fühlens riss, so, dass alle, die lasen, nur erschauern konnten – es sind Zeugnisse bitterster Wahrheit, die ein Mensch erfahren kann: Die Welt will mich nicht, wie ich bin. Bitterer noch, ihr so zu antworten: Ich will sie auch nicht, wie sie ist. Es bleibt der Mensch, wenn ihm diese Gegensätzlichkeit einer Beziehung widerfährt, für gewöhnlich unfähig, daraus Konsequenzen zu ziehen. Kleist war unfähig, seine Konsequenz nicht zu ziehen: die tödliche nämlich. Seine Gedichte schildern jene kaum erträgliche paradoxe Spannung, die einen Menschen von geringerer Willensstärke schlechthin zerrissen haben würde, eine Spannung zwischen Ausschweifung bis zum Entsetzenerregenden auf der einen und ganz preußischer Offizier auf der anderen Seite, »ihr Menschen, eine Brust her,/ Dass ich weine!« Erschütterungen und Entzückungen des Schöpferischen (»durch stille Ätherräume schwingt mein Geist«), so lange, bis patriotisch helles Feuer und dunkle Tiefe des puren Ich, bis Liebessehnsucht und Todestrieb unauflösbar ineinanderstürzten. »Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein!«
Poesiealbum war und ist ein Heft mit 32 Seiten Gedichte neuer und alter, deutscher und Weltlyrik. Bald nähert es sich der Zahl 300 – 300 Dichter sind schon eine stolze Sammlung. Wer so alt ist wie ich, kann sie alle haben (ich habe als Schüler mit Nummer 1 begonnen). Der Preis von 90 Pfennig von 1967 bis Anfang 1990 machte das Sammeln leicht. Im Wendefrühjahr wurden sie teurer, aber es half nicht, die Reihe ging ein. Seit 2007 gibt es sie wieder. Wer nicht so alt ist, könnte immer noch alle Hefte ab Wiedererscheinen 2007 sammeln, auch das wird mal eine Sammlung. Mit Namen wie Peter Huchel, Ezra Pound, Ernst Jandl, Smus Heaney, Wolfgang Hilbig, Boris Pasternak oder Inger Christensen sitzt man immer noch in der ersten Reihe. (Nur schade, daß in die illustre Reihe noch nicht wieder wie “früher” Neulinge aufgenommen werden. Vielleicht kommts ja wieder! Es würde die Reihe abrunden und auch für junge Schreiber und Leser noch interessanter machen. Pietraß, was ist?))
Auch Lavant-Einsteiger kommen auf ihre Kosten. 2010 bekam sie ihr Heft mit der Nummer 289. Magische und böse Zeilen kann man dort lesen: “Nicht rosenrot, nicht himmelblau, / ich bin für Schwefelfarben!” “Gott, sag das nicht nach,/ sag keins der lauen Worte dieser Frommen!/ Ich will ja nicht in ihren Himmel kommen!” “Wenn sie mich zu einem Bündel schnüren,/ bis die Hände nimmermehr sich rühren,/ und die ganze Wut im Mund gesammelt/ nichts als ausweglose Flüche stammelt/ rundherum um deinen hohen Namen.” “Hau jetzt ab samt deiner Nüchternheit!/ Dieses Schiff wird nie verständig werden –/ melde oben bei dem Bootsverleiher,/ daß wir brüllend und das Maul voll Suff/ seine Sterne aus der Hölle holen.” Rimbaud redivivus!
Das Poesiealbum 279 ist Ezra Pound gewidmet. Auswahl und Nachdichtung stammen von Eva Hesse, die auch die Ausgabe Sämtliche Gedichte im Arche Verlag, Zürich, verantwortet hat.
Eine wirkliche Entdeckung unter diesen ersten neuen Poesiealben bringt für mich das Heft 281. Es stellt den tschechischen Dichter Ludvík Kundera vor. Er ist 1920 geboren, Cousin des Schriftstellers Milan Kundera. Ludvík Kundera bezeichnet sich selbst als einen "der letzten lebenden Surrealisten der tschechischen Nachkriegsgeneration". Zweimal griffen die politischen Ereignisse entscheidend in das Leben des Dichters ein. 1943 wurde er zur Zwangarbeit nach Berlin-Spandau verbracht. 1970 wurde er als Chefdramaturg des Nationaltheaters Brno entlassen und mit Publikationsverbot belegt. Erst ab 1990 konnte Ludvik Kundera wieder publizieren.
Man griff es am Bahnhofskiosk mit. Es kostete nicht viel. 90 Pfennige. So viel wie ein Brot. Das „Poesiealbum“ aus dem Verlag Neues Leben. Ein Heft Gedichte für die Reise. Und während man in zugigen Zügen durch die Tagebauödnis hinter Bitterfeld ratterte, flohen die Gedanken in die romantischeren Landschaften eines Novalis oder mit Günter Eich auf eine Bahnfahrt von München nach Frankfurt: „Dazwischen Wälder, worin der Herbst verbrannt wird, Landstraßen in den Schmerz, Gewölk, das an Gespräche erinnert ...“ Seit 1967 erschien das „Poesiealbum“ monatlich neu mit einer Gesamtauflage von fünfeinhalb Millionen verkauften Exemplaren. Bei Nr. 276 war 1990 dann Schluss.Und nun, als wäre nichts gewesen, keine 17 Jahre Zwischen-Zeit, in der manchem unter der Last zu bewältigender Umwälzungen der Sinn für Poesie beinahe abhanden kam, setzt der Märkische Verlag Wilhelmshorst die Lyrik-Reihe fort. Folgerichtig mit der Ausgabe 277. Der Autor aber, der hier zu Wort kommt, wäre in der DDR so nicht veröffentlicht worden: Peter Huchel. Bernd Jentzsch, alter und neuer Herausgeber des „Poesiealbums“, hatte wenige Jahre, bevor Peter Huchel aus jenem Land fortging, das meinte, ohne seine Gedichte auskommen zu können, schon einmal eine Text-Auswahl für die Veröffentlichung vorbereitet. Kurzes Tauwetter hatte ihn Ende der sechziger Jahre dazu ermutigt.
Von Huchel war hier zu Lande 1948, also noch vor Gründung der DDR, nur ein einziger Lyrik-Band erschienen. … Solche und andere Lücken im Spektrum großer Lyrik, die zu DDR-Zeiten allein aus politischen Gründen aufgerissen waren, will Bernd Jentzsch nun aufarbeiten und schließen. Neue Entdeckungen sollen folgen. In der äußeren Gestaltung des Heftes hält sich der Märkische Verlag an das von Achim Kollwitz entworfene Original mit grafischem Titelbild und Mittelblatt. Zu Huchels Gedichten steuerte der ebenfalls in Wilhelmshorst lebende Plastiker und Grafiker Manfred Rößler „Die Gaukler“ und eine mit Bleistift gezeichnete Landschaft von 1980 bei. Der Preis des Heftes liegt mit vier Euro nur wenig über dem gestiegenen Brotpreis. Beste Voraussetzungen also dafür, dass Gedichte wieder, wie einst, zum Lebens-Mittel werden.
Das von Manfred Rößler illustrierte Huchel-Heft jedenfalls ist eine Tat: Es beginnt mit dem Grenzgedicht „Ophelia" und endet mit dem poetologischen Statement „Unter der Wurzel der Distel". Ein Paukenschlag, der nachhallt: die Edition, Huchel, der Herausgeber. Denn das bedeutet die Neugründung ja auch: Dass Bernd Jentzsch wieder als Herausgeber gelesen werden darf, seine knappen, genauen Kommentare. Man blättert in dem Heft mit der schönsten Selbstverständlichkeit, ganz so, als wäre es niemals weg gewesen. „Es geht nicht um Nostalgie, sondern um ,Avanti!'", sagt Bernd Jentzsch.