Grabschrift

Buntgefleckte Laster ducken Knechte,
Reißen Beute hin mit Zahn und Krallen;
Aber er, der Reine, der Gerechte,
Ward gezeugt, als Opferlamm zu fallen.

Daß er wuchs und siegte, schien ein Greuel,
Untat, die der Welten Gang verkehrte,
Schauderanblick, Basiliskenknäuel,
Das sie schreckte, bannte und verzehrte,

Und sie rasten, angstbesessne Herde,
Und erschlugen ihn mit Totenbeinen,
Stampften ihn in Kehricht, Kalk und Erde.
Immer sie, die Vielen. Ihn, den Einen.

 

Grafik: Max Liebermann

 

 

Das hervorstechende Kennzeichen der Lyrik von Gertrud Kolmar ist das Barock, eine Sprache von einer geradezu verschwenderischen Fülle absonderlicher Bilder und ornamental-malerischen Zierrats. Die Dichterin schwelgt in Farben, wie sie aus neuer Zeit eigentlich nur Arthur Rimbaud, der französische Symbolist, auf seiner Palette hat: dies Sonnenbraun und Rosenrot, dies Pfauenblau und Orangen, dies Schwarzgrünlich und Silberfarben, dies Apfelsinengelb und Smaragden, dies Kupfern und Graubläulich präsentiert sich als das überreiche, schmückende Beiwerk einer Verssprache, , über der sich dann noch die kühnsten, abgelegenen Metaphern wie schwere dunkle Kuppeln wölben …

 

Auswahl von Horst Nalewski

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EAN:978 3 943708 15 8
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